Das Leben im Slum

Das Leben im Slum

Die Welt, in der der kleine Ibrahima lebt, ist heiß, staubig und karg. Der Sand unter seinen nackten Füßen sticht ihn. Er ist überall – auf der Straße, im Hof, in der Hütte. Der Sand ist durchzogen mit kleinen spitzen Steinen, Ton, Holz, all dem Unrat des Alltags. Auf ihm tobt das Leben in La Baraka, Ibrahimas Heimat, dem Slum im Herzen von Senegals Hauptstadt Dakar.

Das Zuhause des Siebenjährigen ist geprägt vom Chaos. Auf dem Sand vor den Hütten liegen Teekannen und Bottiche zum Waschen, Töpfe zum Kochen. Gegessen wird direkt auf der Straße. Gekocht über einem Lagerfeuer, das die Familie vielleicht sogar in der Hütte entzündet hat. Um den Jungen tummeln sich auch Tiere – Ziegen, Schafe, Pferde, die im Müll und Schotter nach etwas Essbarem suchen. Bei ihm sind seine Schwestern Fatou und Binta. Und Frauen, die Wäsche zum Trocknen auf überall zwischen Bäumen gespannten Seilen hängen.

Ibrahimas Familie, die Diallos, sind so typisch für das Leben in Dakars Elendsviertel. Der Slum, der bereits Jahrzehnte besteht und ursprünglich Flüchtlingen aus Mauretanien und Guinea sowie senegalesischen Rückkehrern eine Zuflucht bot. Die Diallos kommen eigentlich aus Mauretanien. Vater Mohammed und Mutter Seynabou, 37 und 34 Jahre alt, haben die Odysee zur Metropole an der Atlantikküste in der Hoffnung auf ein besseres Leben auf sich genommen. Doch La Baraka ist kein Ort für ein menschenwürdiges Dasein. Ohne Pass, ohne Staatsbürgerschaft können die Diallos wie so viele ihrer Schicksalsgenossen keine Rechte für sich beanspruchen. Die älteste Generation des Slums finden sich in keinen Registern. Wer in La Baraka lebt, hat keine Identität. Er ist einer von vielen unter dieser namenlosen Masse, die von der Regierung mittlerweile geduldet wird, aber nie gesellschaftlich anerkannt war. Wer in La Baraka lebt, ist kein Einwohner Dakars. Er ist im Niemandsland.

Hin und wieder besitzt vielleicht ein Kind einen senegalesischen Pass. Das ist so, wenn die Eltern auf irgendeinem Weg mitbekommen haben, dass man alle Babys, die auf senegalesischem Boden geboren werden, registrieren lassen kann. Dann können die Kinder als Staatsbürger in Dakar eine Schule besuchen. Das Alphabet kennenlernen – ein Buch mit sieben Siegeln für ihre Eltern. Sie können Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Können ihren Müttern bei der Abrechnung ihres kleinen Geschäfts helfen. Denn viele Frauen aus La Baraka haben sich mit ihren bescheidenen Mitteln organisiert und verkaufen Obst, Gemüse, Töpferwaren und mehr, um die Familie ernähren zu können. Sie sind ohne Bildung und dennoch auf ihre Weise klug. Haben sich untereinander organisiert, um sich gegenseitig zu helfen. Anders als die Männer, die sich als Tagelöhner verdienen und den Großteil des Geldes vertrinken.

Wenn die Vision der „Stiftung UNESCO – Bildung für Kinder in Not“ Wirklichkeit wird, dann wartet ein vollkommen neues Leben auf Ibrahima und seine Familie. Die Diallos können ihre Hütte mit dem Wellblechdach abreißen und stattdessen ein massives Fertigbau-Haus errichten. Ein echtes Haus mit einer Tür zum Abschließen. In ihrer Hütte war alles offen, jetzt können sie die Tür zumachen und ganz in Ruhe etwas bereden, ohne dass es die Nachbarn gleich mitbekommen. Alle werden mit anpacken. Denn Ziel der UNESCO ist es nicht, einfach auf einen Schlag durch Arbeiter aus dem Ausland alles abzureißen und die neuen Häuser aufzustellen. Die Bewohner La Barakas sind selbst für ihr Vorzeigedorf verantwortlich und müssen mitwirken. Deshalb lernen die einen, wie man die Betonwände des Hauses hochzieht, die anderen lernen, wie man Türrahmen und Türen fertigt und wieder andere Stühle, Tische, Schränke und Betten zu schreinern. Die Menschen sehen es in ihrer Verantwortung, dass auch alles richtig gefertigt wird. Und sie nehmen das Erlernte mit raus in die Stadt und helfen auch an anderen Stellen Dakars, Stühle zu schreinern und Tische und Schränke. Ibrahimas Vater Mohammad ist dann vielleicht bekannt als der Mann, der so schöne Tische machen kann. Er wird eine Identität bekommen, Ansehen erfahren. Mehr Geld mit nach hause bringen können als zuvor.

Der Hof des Hauses der Familie Diallo ist dann gepflastert. So hat der Sand keine Chance mehr, sich in jede Pore einzunisten oder, bei Regen, als Schlamm die Hütte zu fluten. Und es gibt eine Kanalisation. Seitdem riecht es nicht mehr nach Fäkalien. Ibrahima und seine Geschwister haben im Haus immer trockene Füße und sie schlafen sogar in echten Betten. Vielleicht ist es am Anfang komisch, in einem echten Haus zu Wohnen und in einem Bett und nicht mehr auf der Erde zu liegen. Ibrahima legt sich in den ersten Nächten deshalb doch auf den Boden, weil er nur so einschlafen kann. Aber das vergeht schnell.

Seynabou darf zum Kochen kein Lagerfeuer mehr im Haus machen. Denn sonst würde das Haus ja abbrennen. Das klingt zwar ganz einfach, aber der Mensch hat seine Gewohnheiten und Seynabou hat in ihrem ganzen Leben über Lagerfeuer gekocht. Vielleicht verlagert sie die Kochstelle deshalb erst einmal wieder nach draußen an die Seite des Hauses. Da steht ein durch den Nachbarn neu gepflanzter Baum. Wenn Ibrahima mit Fatou und Binta unter ihm spielen, bleibt es viel kühler als bei den alten morschen Bäumen, die früher an der Hütte gestanden haben.

Wenn die Kinder nicht spielen, dann lernen sie in der Schule direkt in La Baraka Lesen, Schreiben und Rechnen. So können sie später einmal eine Ausbildung machen oder sogar zur Universität gehen. Wenn der Unterricht vorbei ist, geht Ibrahima raus zu den Gemüsegärten. Dort lernt Seynabou gerade, eine echte Gärtnerin zu werden. Sie hat das Regenwasser in Tonnen aufgefangen, um mit dem Wasser den Boden zu bewässern. Das wurde ihr im Projekt so beigebracht. Es ergibt Sinn, denn Wasser ist kostbar im trockenen Afrika. Und die Mitarbeiter des Projekts haben den Bewohnern viele Tipps gegeben, wie sich das wenige Wasser, das es in La Baraka gibt, viel besser nutzen lässt. Und auch, wie die Frauen das Gemüse zu nahrhaften Speisen zubereiten können. Denn eine gute Ernährung ist wichtig, haben sie Seynabou gesagt. So bleiben alle gesund und haben mehr Kraft.

Ibrahima zählt die Möhren, die seine Mutter aus dem Boden zupft. Seynabou lacht und ihr Sohn zeigt ihr, wie man bis zehn zählt. Seynabou versucht, ihm nachzusprechen. Sie hat heute mit den Dorfältesten geredet, die alles entscheiden in La Baraka. Auch ein Slum hat trotz allem Chaos eine Organisationsstruktur. Die haben sie nun zum Übergang mit in ihr Dorf übernommen. Deshalb haben sie mit Hilfe der UNESCO einen Stadtrat mit den Dorfältesten eingerichtet. Der befragt nun regelmäßig die Bewohner, was sie in La Baraka noch errichten wollen. Ob es friedlich zugeht oder ob einige Männer als Wachleute geschult werden müssen, um aufzupassen, dass nichts geklaut wird – jetzt, wo es Häuser zum Abschließen gibt.

Seynabou hofft mit Hilfe der Dorfältesten, im Rahmen des UNESCO-Projekts einen Mini-Kredit für ihre Familie zu bekommen. Damit könnte sie eigenen Gärten anlegen und das Gemüse dann in der neuen kleinen Markthalle viel effektiver als zuvor verkaufen. Mit dem Geld könnte die Familie dann die kleine Miete für das Haus zahlen. Und wenn die Diallos alles abbezahlt haben, gehört ihnen das Haus sogar. Sie haben dann eigenen Grund und Boden. Auf solch einen Gedanken wären die Diallos vor Projektbeginn gar nicht gekommen. Ein eigenes Haus – unvorstellbar.

Selbst die Regierung ist auf La Baraka aufmerksam geworden. Präsident Macky Sall hat jüngst den Tatendrang der Bewohner gelobt. Alles das, was die Stiftung UNESCO in La Baraka angestoßen hat, soll weitergeführt werden. In den Zeitungen spricht man von La Baraka schon lange nicht mehr als einen Slum. Letztens wurde Mohammed von einem Arbeitskollegen aus dem Stadtzentrum gefragt, woher er komme. Und er hat voller Stolz gesagt: „Ich komme aus dem Stadtteil La Baraka. Es ist schön dort.“

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Die YOU Stiftung – Bildung für Kinder in Not, eine Initiative der UNESCO-Sonderbotschafterin Dr. h.c. Ute-Henriette Ohoven setzt sich weltweit für Bildung für die Ärmsten der Armen ein.

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